EINLEITUNG
“Es gibt keine Freiheit, wenn die richterliche Gewalt nicht von der gesetzgebenden und vollziehenden getrennt ist,” schrieb Montesquieu in seinem Werk „Vom Geist der Gesetze.”
Zutiefst inspiriert von Montesquieus Philosophie charakterisierte der berühmte amerikanische Staatsmann und Rechtsanwalt Alexander Hamilton in den 1780er Jahren in Artikel 78 der “Föderalistischen oder neuen Verfassung” die Stellung der Rechtsprechung gegenüber den anderen Staatsgewalten mit den treffenden Worten: “Wer die verschiedenen Gewalten aufmerksam betrachtet, muss erkennen, dass in einer Regierung, in der diese voneinander getrennt sind, die Gerichtsbarkeit aufgrund der Natur ihrer Aufgabe stets diejenige sein wird, die den verfassungsmäßigen politischen Rechten am wenigsten Gefahr bietet; da sie am wenigsten in der Lage sein wird, diese zu beeinträchtigen oder zu verletzen. (…) Die Gerichtsbarkeit ist die unvergleichlich Schwächste der drei Bereiche der Staatsgewalt; sie kann nie mit dem Erfolg der beiden anderen angreifen; und alle denkbare Sorgsamkeit ist erforderlich, um sie in die Lage zu versetzen, sich selbst gegen Angriffe zu verteidigen”.
Ein entscheidender Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips ist zweifelsfrei die Unabhängigkeit der rechtsprechenden Gewalt.
Es ist darum geboten, diese Gewalt zur Garantie des Schutzes der Bürgerrechte gegen Eingriffe des Staates und bestimmter anderer Interessensgruppen zu stärken.
Seit 1985 wurden von den Vereinten Nationen grundlegende Richtlinien hinsichtlich der richterlichen Unabhängigkeit in Kraft gesetzt. Ein Sonderberichterstatter für den Bereich der Unabhängigkeit der Richter und Rechtsanwälte wurde ernannt, um den Respekt vor diesen Standards sicherzustellen und diesen dazu zu verhelfen, sich im Interesse der Bürger auf ein immer höheres Niveau zu entwickeln.
Auch auf regionaler Ebene haben internationale Organisationen, insbesondere der Europäische Rat, in diesen letzten Jahren viele Standards geschaffen.
“Feststellend, dass die Rolle der Richter bei Erfüllung ihrer Pflichten entscheidend für den Schutz der Menschenrechte und der Grundfreiheiten ist,” und “von dem Wunsch getragen, die Unabhängigkeit der Richter zu fördern, die ein konstititives Element des Rechtsstaatsprinzips und unabdingbar für die Unparteilichkeit der Richter und das Funktionieren des Justizsystems ist”, hat der Europarat in der Präambel der Empfehlung CM/Rec2010(12) für die Richter: Unabhängigkeit, Effizienz und Verantwortung, betont, dass “die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit jeder Person das Recht auf ein faires Verfahren sichert und deshalb kein Privileg für Richter, sondern eine Garantie des Respekts für die Menschenrechte und Grundfreiheiten ist, die es jeder Person erlaubt, Vertrauen in das Justizsystem zu haben”.
Trotz des Nutzens dieser Sammlung von Schutznormen ist es Aufgabe einer Organisation wie der Internationalen Richtervereinigung, ihre eigenen Regelungen anzustreben und für diese zu werben, um diesen einen weltweit bindenden Charakter zu geben, und ebenso, auf die Fortentwicklung solcher Standards zu achten, um Richter und Staatsanwälte mit weiteren Garantien auszustatten.
Nach der Annahme regionaler Statuten zwischen 1993 und 1995 wurde von der Internationalen Vereinigung der Richter 1999 in Taiwan ein Universelles Richterstatut angenommen
Seitdem sind viele Themen aufgekommen, die zu dieser Zeit nicht bedacht hatten werden können. Dies gilt etwa für Ethik und Pflichtenlehre, die sich aufgrund zunehmender und berechtigter Forderung der Bürger und als Weiterentwicklung des Prinzips der Unparteilichkeit entwickelt haben.
Dies gilt ferner für die Frage der Kommunikation in einer Welt, die immer offener und immer stärker miteinander “vernetzt” ist. Schließlich gilt dies in gleicher Weise in einem komplexen wirtschaftlichen Rahmen für Budgetangelegenheiten ebenso wie für die Frage der Vergütung und der Arbeitsbelastung der Richter.
Andere Themen wurden von der Internationalen Richtervereinigung im Rahmen der Arbeit der Ersten Studienkommission in Angriff genommen. Es liegt nahe, Schlussfolgerungen hieraus in das Richterstatut einfließen zu lassen.
Zu einer Zeit, in der in vielen Ländern die Rechte der Gerichtsbarkeit bedroht sind, Richter angegriffen und Anschuldigungen gegen Staatsanwälte erhoben werden, erscheint eine Aktualisierung des Universellen Richterstatuts unabdingbar.
Während des Treffens in Foz do Iguaçu im Jahr 2014 nahm der Zentralrat der IRV den Vorschlag des Präsidiums an, das im Jahre 1999 in Taiwan angenommene Statut zu aktualisieren.
Während des Treffens in Barcelona wurde eine Arbeitsgruppe mit der Aufgabe betraut, ein neues Statut zu entwerfen.
Sie bestand aus
– Christophe REGNARD, Präsident der IRV (Frankreich), Präsident der Arbeitsgruppe
– Giacomo OBERTO, Generalsekretär der IRV (Italien)
– Janja ROBLEK (Slovenien)
– Julie DUTIL (Kanada)
– Allyson DUNCAN (USA)
– Walter BARONE (Brasilien)
– Mario MORALES (Puerto Rico)
– Marie Odile THIAKANE (Senegal)
– Scheik KONE (Mali)
Eingebunden in diese Arbeit war ferner Günter WORATSCH, Ehrenpräsident der IRV (Österreich) in seiner Eigentschaft als Präsident des Rates der Ehrenpräsidenten.
Der Entwurf des Statuts wurde diskutiert:
– innerhalb der Arbeitsgruppe während des Treffens in Mexico City im Oktober 2016,
– während der Frühlingstreffen der Regionalgruppen im April und Mai 2017
Eine Diskussion und Bewertung der Vorschläge der Arbeitsgruppe erfolgte im Juni 2017 durch das Präsidium.
Die förmliche Annahme erfolgte einstimmlich während des Jahrestreffens des Zentralrats in Santiago de Chile am 14. November 2017.
ARTIKEL 1 – ALLGEMEINE GRUNDSÄTZE
Die Justiz als Garant des Rechtsstaatsprinzips ist eine der drei Gewalten jedes demokratischen Staates.
Richter sollen in ihrer gesamten Tätigkeit das Recht eines jeden auf ein faires Verfahren sicherstellen. Sie sollen sich für das Recht jedes Einzelnen auf eine faire und öffentliche Verhandlung in angemessener Zeit durch ein unabhängiges und unparteiisches, durch Gesetz eingerichtetes Tribunal bei der Entscheidung über dessen zivilrechtliche Rechte und Pflichten und über jeden gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Vorwurf einsetzen.
Die Unabhängigkeit des Richters ist unabdingbar für eine auf Gesetz beruhende unparteiische Justiz. Sie ist unteilbar. Sie ist nicht als Vorrecht oder Privileg, das den Richtern für deren eigene Interessen zuteilwird, sondern im Rahmen des Rechtsstaatsprinzips im Interesse jeder Person, die eine unparteiische Gerichtsbarkeit erwarten darf, vorgesehen.
Alle Einrichtungen und Autoritäten auf nationaler und internationaler Ebene müssen diese Unabhängigkeit achten, schützen und verteidigen.
ARTIKEL 2 – ÄUSSERE UNABHÄNGIGKEIT
Artikel 2-1 – Garantie der Unabhängigkeit in einem rechtlichen Text höchster Stufe
Richterliche Unabhängigkeit muss in der Verfassung oder in der höchsten rechtlichen Stufe niedergelegt sein.
Der Richterstand (Die Richterschaft? Richterstatus?) muss abgesichert werden, indem das Richteramt so ausgestattet und geschützt wird, dass es tatsächlich und wirksam von den anderen Staatsgewalten unabhängig gestellt ist.
Der Richter als Inhaber des Richteramts muss in der Lage sein, dieses frei von sozialem, ökonomischem und politischem Druck und unabhängig von anderen Richtern und der Justizverwaltung auszuüben.
Artikel 2-2 – Sicherheit des Amtes
Richter haben ihr Amt ab dem Zeitpunkt ihrer Ernennung oder ihrer Wahl bis zum Erreichen des vorgeschriebenen Pensionsalters oder der Beendigung ihres Mandats inne.
Ein Richter muss ohne jede zeitliche Begrenzung ernannt werden. Falls ein Rechtssystem die Ernennung für einen begrenzten Zeitraum vorsieht, sollen die Bedingungen der Ernennung sicherstellen, dass die richterliche Unabhängigkeit nicht gefährdet wird.
Keinem Richter kann ohne seine Zustimmung ein anderes Amt übertragen oder eine Beförderung zuteilwerden.
Ein Richter kann von seinem Amt nicht versetzt, freigestellt oder abgesetzt werden, außer dies ist im Gesetz vorgesehen und auch in diesem Fall nur als Folge eines Disziplinarverfahrens, in dem das Recht der Verteidigung und das Recht, Widerspruch einzulegen, gewährleistet sind.
Jegliche Änderung des zwingenden Pensionsalters für Richter darf nicht rückwirkend eingeführt werden.
Artikel 2-3 – Richterrat
Um die richterliche Unabhängigkeit sicherzustellen, muss ein Richterrat oder eine anderes gleichwertiges Gremium geschaffen werden, außer in Ländern, in denen diese Unabhängigkeit traditionell auf andere Weise sichergestellt wird.
Der Richterrat muss vollkommen unabhängig von anderen Staatsgewalten sein.
Er muss mehrheitlich aus Richtern bestehen, die von ihren Kolleginnen und Kollegen gewählt in einem Verfahren gewählt werden, das sicherstellt, dass deren Repräsentanten den größten Teil des Richterrates darstellen.
Der Richterrat kann Mitglieder haben, die keine Richter sind, um die Vielfalt der Zivilgesellschaft zu repräsentieren. Damit keinerlei Zweifel aufkommen, dürfen diese Mitglieder keine Politiker sein. Sie müssen im Hinblick auf ihre Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Fähigkeiten die gleichen Qualifikationen wie Richter haben. Kein Mitglied der Regierung oder des Parlaments kann gleichzeitig Mitglied des Richterrats sein.
Der Richterrat muss im Bereich der Personalgewinnung, Fortbildung, Ernennung und Beförderung von Richtern und des Richterdisziplinarverfahrens mit umfassenden Befugnissen ausgestattet sein.
Es muss gewährleistet werden, dass der Richterrat von anderen Staatsgewalten hinsichtlich aller möglichen Fragen konsultiert werden kann, die den richterlichen Status und die richterliche Ethik, ebenso wie alle Fragen des jährlichen Budgets der Gerichtsbarkeit und die Verteilung der Mittel auf Gerichte sowie die Organisation, das Funktionieren und das Bild der Institutionen der Justiz in der Öffentlichkeit betreffen.
Artikel 2-4 – Ressourcen für die Gerichtsbarkeit
Die anderen Staatsgewalten müssen die Gerichtsbarkeit mit den notwendigen Mitteln ausstatten, damit sie ihre Aufgabe in geeigneter Weise durchführen kann. Die Gerichtsbarkeit muss die Möglichkeit haben, an Entscheidungen in Bezug auf das Budget der Gerichtsbarkeit und die finanzielle und personelle Ausstattung der Gerichte mitzuwirken oder zumindest gehört zu werden.
Artikel 2-5 – Schutz der Richterinnen und Richter und Achtung richterlicher Entscheidungen
Richter müssen gesetzlichen Schutz gegen Bedrohungen und Angriffe jeglicher Art genießen, die in Zusammenhang mit ihrer Amtsführung gegen sie gerichtet werden können.
Der Staat muss die körperliche Sicherheit der Richter und ihrer Familien gewährleisten. Um die Ungestörtheit richterlicher Beratung sicherzustellen, muss der Staat Schutzmaßnahmen für die Gerichte betreiben.
Kritik an richterlichen Entscheidungen, die der Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit schaden oder das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz gefährden könnte, soll vermieden werden. Für den Fall derartiger Anschuldigungen müssen geeignete Mechanismen vorgesehen werden, damit Gerichtsverfahren eingeleitet und die betroffenen Richter angemessen geschützt werden können.
ARTIKEL 3 – INNERE UNABHÄNGIGKEIT
Artikel 3-1 – Bindung des Richters an das Gesetz
Bei Ausübung seiner richterlichen Aufgaben unterliegt der Richter nur dem Gesetz und darf nur dieses berücksichtigen.
Eine hierarchische Organisation der Gerichtsbarkeit im Sinne einer Unterordnung der Richter unter die Gerichtspräsidenten oder höheren Instanzen bei der Tätigkeit ihrer richterlichen Entscheidungsfindung wäre – mit Ausnahme der Entscheidungsbesprechung, wie unten beschreiben (siehe Artikel 3.2) – eine Verletzung des Grundsatzes der richterlichen Unabhängigkeit.
Artikel 3-2 – Persönliche Unabhängigkeit
Jeglicher Einfluss, Druck, Drohung oder Eingriff von staatlichen Stellen, sei es direkt oder indirekt, ist unzulässig.
Dieses Verbot von Anordnungen oder Anweisungen jeglicher Art und Weise an Richter gilt nicht für höhere Gerichte, wenn diese Entscheidungen vorheriger Instanzen im Rahmen eines gesetzlichen Verfahrens aufheben.
Artikel 3-3 – Gerichtsverwaltung
Vertreter der Gerichtsbarkeit müssen vor jeder Entscheidung, die den Vollzug richterlicher Pflichten betreffen, zu Rate gezogen werden.
Da die Gerichtsverwaltung Einfluss auf die richterliche Unabhängigkeit haben kann, muss sie primär Richtern anvertraut werden.
Richter sind für ihre Handlungen verantwortlich und müssen unter den Bürgern Informationen über die Funktionsweise der Gerichtsbarkeit verbreiten.
Artikel 3-4 – Wie Fälle zugeteilt werden sollen
Die Zuteilung von Fällen muss auf objektiven Regeln beruhen, die den Richtern vorab darzulegen und zu kommunizieren sind. Jede Zuteilungsentscheidung muss auf transparente und nachvollziehbare Weise getroffen werden.
Ein Fall darf einem bestimmten Richter nicht ohne triftige Gründe entzogen werden. Die Überprüfung solcher Gründe muss auf Basis objektiver Kriterien erfolgen, die vorher gesetzlich festgelegt wurden und einem transparenten Verfahren einer Stelle innerhalb der Gerichtsbarkeit folgen.
Artikel 3-5 – Meinungsfreiheit und Vereinigungsfreiheit
Richter genießen, wie alle anderen Bürger, Meinungsfreiheit. Auch bei Ausübung dieses Rechtes sollen sie jedoch Zurückhaltung an den Tag legen und sich stets so verhalten, dass die Würde ihres Amtes, ebenso wie die Unparteilichkeit und Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit, gewahrt wird.
Das Recht eines Richters, einer Berufsvereinigung anzugehören, muss anerkannt werden, um es den Richtern zu erlauben, insbesondere bei Fragen der Anwendung ihrer ethischen und sonstigen Statuten und der für die Justiz notwendigen Mittel hinzugezogen zu werden, und um ihre berechtigten Interessen und ihre Unabhängigkeit zu verteidigen.
ARTIKEL 4 – PERSONALGEWINNUNG UND FORTBILDUNG
Artikel 4-1 – Personalgewinnung
Die Anwerbung oder Auswahl von Richtern darf nur auf objektiven Kriterien beruhen, die berufliche Fähigkeiten sicherstellen dürfen; sie muss durch das Organ erfolgen, das in Artikel 2.3 beschrieben wird.
Die Auswahl muss unabhängig von dem Geschlecht, der ethnischen oder sozialen Herkunft, philosophischer oder politischer Ansichten oder religiösem Glauben erfolgen.
Artikel 4-2 – Fortbildung
Anfängliche und berufsbegleitende Fortbildung begründet ein Recht und zugleich eine Pflicht des Richters, soweit sie die richterliche Unabhängigkeit ebenso wie eine hohe Qualität und Effizienz des Justizsystems gewährleistet. Sie soll unter der Aufsicht der Gerichtsbarkeit organisiert werden.
ARTIKEL 5 – ERNENNUNG, BEFÖRDERUNG UND BEURTEILUNG
Artikel 5-1 – Ernennung
Die Auswahl und jede Ernennung eines Richters muss auf Grund objektiver und transparenter Kriterien erfolgen, die auf geeigneter beruflicher Qualifikation beruhen.
Die Auswahl soll durch das in Artikel 2-3 dieses Kapitels definierte unabhängige Gremium oder ein gleichwertiges Gremium erfolgen.
Artikel 5-2 – Beförderung
Wenn sie nicht aufgrund des Dienstalters erfolgt, darf die Beförderung eines Richters ausschließlich auf Qualitäten und Leistungen bei Erfüllung der richterlichen Pflichten beruhen, die durch objektive und kontradiktorische Beurteilungen unter Beweis gestellt wurden.
Beförderungsentscheidungen müssen im Rahmen transparenter Verfahren auf gesetzlicher Grundlage ausgesprochen werden. Sie setzen ein Gesuch oder die Zustimmung des Richters voraus.
Wenn Entscheidungen von dem in Artikel 2-3 genannten Gremium getroffen werden, soll es dem Richter, dessen Bewerbung für eine Beförderung zurückgewiesen wurde, gestattet sein, die Entscheidung anzufechten.
Artikel 5-3 – Beurteilung
In Ländern, in denen Richter beurteilt werden, muss die Beurteilung vor allem eine qualitative sein und auf Leistungen, ebenso wie auf beruflichen, persönlichen und sozialen Fähigkeiten des Richters beruhen; für Beförderungen in Verwaltungsfunktionen muss sie auf den Führungskompetenzen des Richters beruhen.
Die Beurteilung muss auf objektiven Kriterien beruhen, die vorab veröffentlicht worden sind. Das Beurteilungsverfahren muss unter Beteiligung des betroffenen Richters ablaufen, dem es erlaubt sein muss, die Entscheidung vor einer unabhängigen Institution anzufechten.
Unter keinen Umständen können Richter aufgrund der von ihnen getroffenen Entscheidungen beurteilt werden.
ARTIKEL 6 – ETHIK
Artikel 6-1 – Allgemeine Grundsätze
Richter müssen unter allen Umständen von ethischen Grundsätzen geleitet werden.
Solche Grundsätze, die ihre beruflichen Pflichten ebenso betreffen wie ihre Verhaltensweise, sollen Richter leiten und Teil ihrer Ausbildung sein.
Diese Grundsätze sollen schriftlich niedergelegt werden, um das öffentliche Vertrauen in Richter und Justiz zu erhöhen. Richter sollen eine führende Rolle bei der Entwicklung solcher ethischen Grundsätze einnehmen.
Artikel 6-2 – Unparteilichkeit, Würde, Unvereinbarkeiten, Beschränkungen
Der Richter muss bei Ausübung seiner Aufgaben unparteiisch sein und auch so wahrgenommen werden.
Der Richter muss sein Amt mit Zurückhaltung und unter Beachtung der Würde des Gerichts und aller beteiligten Personen ausüben.
Der Richter muss Verhaltensweisen, Handlungen und Äußerungen unterlassen, deren Wirkung das Vertrauen in seine Unparteilichkeit und Unabhängigkeit beeinträchtigen können.
Artikel 6-3 – Effizienz
Der Richter muss seine Aufgaben mit Sorgfalt und Effizienz und ohne unangemessene Verzögerungen erfüllen.
Artikel 6-4 – Äußere Aktivitäten
Der Richter darf keinerlei andere Funktionen ausführen, weder öffentliche noch private, weder bezahlte noch unbezahlte, die nicht vollständig mit den Aufgaben und dem Status eines Richters vereinbar sind.
Er muss jeden möglichen Interessenskonflikt vermeiden.
Der Richter darf ohne seine Zustimmung nicht mit Funktionen außerhalb seiner richterlichen Tätigkeit betraut werden.
Artikel 6-5 – Die Möglichkeit des Richters, sich mit der Bitte um Rat an eine unabhängige Instanz zu wenden
Wenn Richter in Erwägung ziehen, dass ihre Unabhängigkeit gefährdet ist, sollen es ihnen möglich sein, sich an eine unabhängige Instanz zu wenden, vorzugsweise die in Artikel 2-3 dieses Kapitels beschriebene, welche die Möglichkeit hat, Tatsachen zu ermitteln und den Richtern Hilfe und Unterstützung zukommen zu lassen.
Richter sollen die Möglichkeit haben, ethischen Rat von einer Institution innerhalb der Gerichtsbarkeit zu erhalten.
ARTIKEL 7 – DISZIPLINARWESEN
Artikel 7-1 – Disziplinarverfahren
Gerichtsverwaltung und disziplinarische Maßnahmen gegen Richter müssen so organisiert sein, dass sie die wirkliche Unabhängigkeit der Richter nicht beeinträchtigen und dass nur auf objektive und gleichzeitig relevante Erwägungen geachtet wird.
Disziplinarverfahren sollen von unabhängigen Gremien durchgeführt werden, deren Mehrheit von Richtern gestellt wird, oder von einem vergleichbaren Gremium.
Außer bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit, festgestellt in einer rechtskräftigen Entscheidung, kann gegen einen Richter keine Disziplinarmaßnahme als Folge einer Rechtsauslegung, einer Tatsachenbewertung oder einer Beweiswürdigung, die im Zusammenhang mit der Entscheidung eines Falles erfolgt ist, verhängt werden.
Disziplinarverfahren sollen in einem rechtsstaatlichen Verfahren ablaufen. Dem Richter muss der Zugang zum Verfahren und Unterstützung durch einen Rechtsanwalt oder einen Kollegen erlaubt sein. Disziplinarentscheidungen müssen begründet und vor einer unabhängigen Instanz angefochten werden.
Disziplinarmaßnahmen gegen einen Richter können nur auf bereits existierender gesetzlicher Grundlage und in Übereinstimmung mit vorbestimmten Prozessregeln stattfinden. Disziplinarische Sanktionen sollen verhältnismäßig sein.
Artikel 7-2 – Zivilrechtliche und strafrechtliche Verantwortlichkeit
Zivilrechtliche Klagen – in Ländern, in denen dies erlaubt ist – und Strafverfolgung gegen einen Richter einschließlich der Haft dürfen nur unter Umständen gestattet sein, die gewährleisten, dass seine Unabhängigkeit nicht beeinflusst werden kann.
Rechtsschutz gegen richterliche Fehler soll durch ein angemessenes System von Rechtsmitteln gegeben sein. Rechtsschutzmöglichkeiten für andere Fehler aus dem Bereich der Rechtspflege bestehen nur gegenüber dem Staat.
Außer im Falle vorsätzlicher Pflichtverletzung ist es für einen Richter nicht angemessen, in Bezug auf die behauptete Ausübung richterlicher Aufgaben irgendeiner persönlichen Haftung ausgesetzt zu werden, selbst wenn dies im Wege der Erstattung durch den Staat geschieht.
ARTIKEL 8 – VERGÜTUNG, SOZIALE ABSICHERUNG UND PENSIONIERUNG
Artikel 8-1 – Vergütung
Der Richter muss eine ausreichende Vergütung erhalten, um seine wirkliche wirtschaftliche Unabhängigkeit und hierdurch seine Würde, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit sicherzustellen.
Die Vergütung darf nicht von den Arbeitsergebnissen des Richters oder seiner Arbeitsleistung, abhängen und darf während seiner Dienstzeit nicht herabgesetzt werden.
Vergütungsregelungen müssen durch Gesetzestexte des höchstmöglichen Ranges abgesichert sein.
Artikel 8-2 – Soziale Absicherung
Das Statut enthält eine Garantie für Berufsrichter gegen soziale Risiken in Bezug auf Krankheit, Mutterschaft, Dienstunfähigkeit, Alter und Tod.
Artikel 8-3 – Pensionierung
Der Richter hat das Recht, bei Pensionierung eine Jahresrente oder Pension zu erhalten, die seiner beruflichen Position entspricht.
Nach seiner Pensionierung darf der Richter einen anderen juristischen Beruf ausüben, wenn dieser mit seiner vormaligen juristischen Berufsausübung nicht ethisch unvereinbar ist.
Ihm kann seine Pension nicht alleine aus dem Grund entzogen werden, weil er eine andere berufliche Tätigkeit ausübt.
ARTIKEL 9 – ANWENDBARKEIT DES STATUTS
Artikel 9-1 – Anwendbarkeit auf alle Personen, die richterliche Funktionen ausüben
Dieses Statut findet Anwendung auf alle Personen, die richterliche Funktionen ausüben, einschließlich der nicht hauptberuflichen Richter.
Artikel 9-2 – Anwendbarkeit auf die Staatsanwaltschaft
In Ländern, in denen die Mitglieder der Staatsanwaltschaft Richtern gleichgestellt sind, gelten die oben angeführten Prinzipien mutatis mutandis für Staatsanwälte.
Artikel 9-3 – Unabhängigkeit der Staatsanwälte
Die Unabhängigkeit der Staatsanwälte – die für das Rechtsstaatsprinzip unverzichtbar ist ‒ muss durch Gesetz des höchstmöglichen Ranges in ähnlicher Weise wie die Unabhängigkeit der Richter abgesichert werden.